Haste Feuer, Prometheus? Part I

Welches sind die besten Folgen in der Serie CALIFORNICATION? Die Party-Folgen!

Daher: ein gemeinsamer Abend unter einer heterogenen Party-Gesellschaft in Lübeck. Am Ende dieser Nacht kam uns eine Idee! Eine Kooperation zwischen zwei Menschen, welche die Leidenschaft zur Literatur und zum geschriebenen Wort verbindet, um dann eine gemeinsame Veröffentlichung daraus zu machen. Was es werden sollte, war uns nicht klar, und erst wenn der jeweilige Text fertig war, sollten wir sehen, was der andere geschrieben hat. Das Ergebnis ist phänomenal: zwei völlig unterschiedliche Herangehensweisen, zwei unterschiedliche Stimmungen, aber doch ein Thema.

Dies hier ist meine Version. Wer das gelesen hat, ist nur bis zur Hälfte gekommen – die andere findet sich HIER.

Die Autoren

Feuer

Foto by Lauté Amont

„Nimm was du kriegen kannst.“

„Und gib nichts wieder zurück!“

Mit diesen tiefen Worten der Freiheit mache ich mich auf dem Weg zu einem Highlight Event diesen Jahres: Saschas legendäre Party in der „Höhle“. Wer ist dieser Sascha und warum wird jeder Abend mit ihm zu einem einzigen Vergnügen? Kurz beschrieben: 1,76, dunkelblondes Haar, balloniert muskuläre Brüste, herzensgut und bis ins Mark hinein loyal. Niemand kennt sein wirkliches Alter, denn dieses hat sich seit seinem 20ten nicht mehr verändert, also gehen wir davon aus, dass er mindestens 20 ist.

„Er hat all diese Partys veranstaltet,

in der Hoffnung,

dass sie irgendwann hereinschneit.“

Und sie ist hereingeschneit. Die Dame, die seine Flamme langsam auf Sparmodus reguliert. Ich entreiße mich der romantischen Vorstellung dieser Vereinigung und blicke etwas resigniert, als mir einige nicht jugendfreie Bilder in den Kopf schweben, wie sie ihre Zuneigung zelebrieren könnten. „Pizza! Pizza! Pizza!“ schreit mein Inneres meinem Gehirn zu. Gerade rechtzeitig, bevor sich dieser Schlammassel auf ewig eingebrannt hat und bei Begegnungen als Assoziation an meine Schädeldecke klopft. Ich klingle und ein verschlafenes Gesicht transzendiert im Türrahmen. Es ist J. „Ich hab grad noch voll gepennt.“ Ich muss schmunzeln und er geht duschen. In dieser Wohnung hatte ich bereits einiges erlebt. Neben meinem Sitzplatz stand eines Nachts eine Schüssel und dieser Schüssel schenkte ich in wunderbaren vier Zügen den gesamten Inhalt meiner damaligen Seele. Wir fahren los, in der untergehenden Sonne, feuerrot unsere Freude reflektierend. Gestern war zwar echt hart, doch wir hatten unendlichen Spaß. Auf geht’s in die zweite Runde.

Das Wiedersehen erfüllt mein Herz mit Gefühlen, die ich allzu gerne spüre. Zuerst springt mir Christian in die Arme, Jasmins Blick lungert nur gierig nach neuen Storys, und Sascha, der Surfer-Typ, den er repräsentiert, empfängt mich mit einem Lächeln. Ich wollte gerade auf die Toilette verschwinden, um meine Haare nach dem Fahrtwind zu bändigen, als Jasmin schreit: „Du hast Haare bekommen! Und zudem auch Locken. Das sieht sehr gut aus, darf ich mal anfassen!“ Mit leicht beschämender Röte auf den Wangen neige ich meinen Kopf nach unten und spüre die weichen Finger auf meiner Kopfhaut gleiten. Welch ein befreiender Augenblick in meinem jungen Leben. Mehrere sprechen mich auf den dunkelbraunen Haufen meines Kopfes an, jedem scheint es zu gefallen, ein Kommentar nach dem anderen purzelt auf mein Selbstbewusstseins-Konto. Und somit lasse ich der Entropie meiner Faserstruktur freien Lauf! Die quasi krankhafte Eitelkeit verbrenne ich auf dem Scheiterhaufen meiner Selbstzweifel. Wenn man sich vorstellt, dass ich früher des Öfteren eine Stunde im Badezimmer gebraucht habe, um die für mich perfektest aussehende Version meines Spiegelbildes zu erzeugen, nur damit der Wind wenige Sekunden später meine ganzen Mühen zu revidieren vermag, finde ich meine neu gewonnene Zuversicht an diesem Abend erstaunlich. Doch der Negativismus bleibt bei einer solch heterogenen Gruppe natürlich nicht aus. Der erste Up fuck – Moment wird initiiert von einem böse dreinschauenden Typen: „Ihr müsst den Grill schon zumachen, sonst wird das heute nichts mehr. Und andere möchten auch noch ihr Essen fertig machen.“ Ob es nun komisch-ironisch gemeint ist oder bittere Ernsthaftigkeit in seiner Stimme vibriert, kann ich bei seinem Pokerface nur schwer erahnen. Schwamm drüber, unsere Stärkung ist beinahe durchgebraten, wir essen! Ich schmelze dahin. Die Entfaltung des Geschmackes von fett cholesterinierter Marinade und saftigem Fleisch, mischt sich mit dem Erhaschen einer wunderschönen Frau. Stellt euch vor, ich könnte riechen = Jizz in the pants-Moment! „Auf Partys bilden sich immer diese Grüppchen. Ich hasse das, warum kann man sich nicht einfach irgendwo hinsetzten und nett die Leute kennen lernen?“ „Dann setzt euch doch zu uns.“ entgegne ich ihr. Zur gemalten Fassade kommen pfiffige Sprüche, ein überbautes Selbstbewusstsein und tiefblaue Augen. Ach Claudia, ich könnte dich glücklich machen. Zusammen mit J, Marius und ihr trinke ich ein zwei Mexikaner. Keine Ahnung, was das sein soll, doch es schmeckt und ist scharf. Coole Mischung.

J und ich bemerken, dass wir doch eine gewisse Durstigkeit nach charakteristischem Brennen verspüren und machen uns auf dem Weg zum Supermarkt. Ich habe es noch nie so brechend voll gesehen. Die Kassen waren total überschwemmt von jungen Leuten. „Es sieht hier total surrealistisch aus. Voll skurrile Leute hier.“ Ich stimme ihm zu und ziehe meine Vergleiche: Leggings, die aussehen wie aus 2020, ein adipöser Verkäufer, der wahrscheinlich mit 25 an Herzinfarkt krepiert und eine Gruppe Italiener, die irgendwie arabisch sprechen. Perplex treten wir unseren Rücktritt an, Lana Del Ray tanzt in meinen Ohrmuscheln, der Vibe dieses Momentes, auf dem Fahrrad, kühlende Sommerluft im Gesicht und J’s überraschend gute Handy-Qualitäts-Musik lassen mich ans Paradies glauben. Definitiv einer der schönsten Augenblicke 2016.

Nach dem ersten Glas Ballantines beginnt mein moralisches Zentrum zu feuern. Warum trinkst du? Seit 5 Jahren befinde ich mich auf dem Weg der Abstinenz. Die Gründe hatte ich mir immer fest vor Augen geführt. Doch es haben sich unglaubliche Veränderungen im letzten Jahr ergeben. Fuck, ich bin durch fast alle Gefühlszustände gerutscht, die sich ein Mensch vorstellen kann. Und ab einem gewissen Punkt habe ich realisiert, wie verstärkt ich alles wahrnehme: Geschmack, Berührungen, Musik, Zustandsänderungen, Liebe. Einfach alles! Und dann schleicht sich der Alkohol doch zurück in mein Leben. Nur diesmal bin ich gereift. Wie ein guter Wein lebe ich aus Erfahrungen, welche die Zeit birgt. Nach dem zweiten Glas merke ich, es reicht. Ich bin nicht ganz nüchtern, aber auch nicht wirklich angetrunken. Mein Körper wird leicht gelähmt, als hätte ich Curare gekaut, doch mein Verstand bleibt messerscharf. Ich habe meine Grenze erreicht und freue mich meiner Kontrolle, ein sehr angenehmes Gespräch mit Natascha zu führen. Eine frische Mutti mit einem 2 jährigen kleinem Mädchen, welche eines Tages die Frau meines derzeit 2 jährigen Bruders wird. Naja man darf ja noch hoffen! „Weißt du, wenn man ein Kind hat, verändert sich die gesamte Beziehung. Du nimmst nicht mehr alles als selbstverständlich hin. Weißt du, was Dennis und meine größte Erfüllung ist? Wenn die Kleine bei meinen Eltern ist, wir in Ruhe auf der Couch liegend einen Film genießen können und kuscheln.“ Diese Worte beeindrucken mich schwer. Zumal ich solche Aussagen bereits mehrfach gehört habe, ohne ihnen eine Bedeutung beizumessen. Doch bei Natascha umspielt pure Authentizität ihr Lächeln. Ich glaube ihr und beginne mehr und mehr zu verstehen, in welche Richtung sich eine Beziehung mit der Zeit, den Etappen entwickelt. Und das macht definitiv Lust auf die Zukunft.

Endlich tauschen Jasmin und ich unsere Storys. Im Schein des Lagerfeuers erstrahlt das ganze Ausmaß ihrer Schönheit. Als sich ihre bessere Hälfte Christian zu uns setzt, entgegne ich ihm, er solle sich verdammt nochmal anstrengen für diese Frau, die sein Leben in jeder Hinsicht bereichert. Und ich freue mich, eine wundervolle Liebe zu sehen und zu spüren. Im Hintergrund fokussiere ich ein Augenpaar, mit dem ich mehrere Sekunden den Kontakt halte. Obwohl das dazugehörige Gesicht und der dazugehörige Körper nicht ganz meinem Geschmack entspricht, macht mich diese Frau absolut an. Meine Gedanken kreisen nur noch darum, sie hinten in Sicherheit der Dunkelheit auf der Matratze zu vögeln. Versuchen, ganz leise zu sein, den Reiz des Erwischt-Werdens voll auszukosten. Sie steht auf und verschwindet, und genau das machen meine Gedanken auch. Sie stehen auf und verschwinden.

Ein Bekannter setzt sich zu mir, mit dem ich bereits einige interessante und schöne Gespräche im Laufe unseres Kennens geführt habe.

„Du hast mich, glaub ich, nicht mehr in deiner Freundesliste?“

„Ja stimmt, ich hatte dich entfernt.“

„Bestimmt wegen den politischen Posts?“

„Ja, das hatte mich sehr gestört. Konnte ich nicht verstehen.“

„Ja, du hättest mich auch nicht mehr abonnieren brauchen.“

„Hm, vielleicht. Vielleicht adde ich dich ja wieder.“

„Also die Leute können mich gerne entabonnieren, aber ich bleibe bei meiner Meinung. Daran hat sich nichts geändert.“

„Hm. Joar, aber wir sollten das Thema lassen, sonst wird’s ungemütlich. An so einem herrlichen Feuer sollten wir kein weiteres entzünden.“

Ich hatte ihm dann nicht mehr erzählt, wie scheiße ich das finde, dass ein so sympathischer und vernünftiger Mensch diese rechts populistischen Flachwichser befürwortet.

Die Nacht neigt sich dem Ende zu und wir erhalten einen Ausblick auf das Morgengrauen. Die Flammen des Feuers brennen uns förmlich die Augenbrauen weg, die Mücken laben sich an unserem Blut und wir lachen und trinken genüsslich weiter.

„Komm mal mit!“ Julian startet seinen Versuch, bei Lia zu landen. Seine Selbstüberschätzung finden J und ich zuckersüß, was wir uns mit einem gedankenlesenden Blick und verschmitzten Lächeln signalisierten. „Nein, lass mal. Hier ist es gemütlich.“, weicht sie seiner Aufforderung zurück. „Ihr verfickten Spasten. Hört auf. Alles nur dumme Idioten hier, die die Welt nicht verstehen“, bläst Julian als Reaktion auf unser derbes Lachen hinaus. Ich empfinde seine Heldentat keinesfalls als peinlich, sondern als absolutes Vergnügen aller. Die Zwischenmenschlichkeit löst sich langsam auf, einer nach dem anderen landet in seinem oder eben einem fremden Bett, J und ich sind die letzten, die sich von Sascha verabschieden. Schreiend auf dem Fahrrad lassen wir den Abend Revue passieren. Unter dem Schein der weiter gezogenen Sterne, macht mir J ein Angebot, dass ich nicht abschlagen kann. Ein Zeichen unserer Brüderlichkeit und unserem gegenseitigen Respekt. Wir sind zu einem unschlagbaren Team geworden und umarmen uns zum Abschied in Freude auf das nächste Wiedersehen.

Alleine fahre ich durch die leeren Gassen meiner Heimatstadt. Für diese Atmosphäre und meine Gefühle finde selbst ich keine Worte mehr. Und so genieße ich den Augenblick, aus dem sich mein Leben zusammensetzt, entspanne auf meinem Bett und schalte meine ewig sprechende, innere Stimme endlich stumm….

 

Zur zweiten Hälfte:

HASTE FEUER, PROMETHEUS PART II

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